Iulia
Ein Leben am obergermanischen Limes
Die nachfolgende Geschichte beschreibt das Leben eines Mädchens, das vor etwa 1800 Jahren in einer villa rustica hier in der Nähe lebt. Iulia ist zwar eine Gestalt, die frei erfunden ist, aber so ähnlich hat sich das Leben am obergermanischen Limes in weiten Teilen abgespielt.
Spuren der Römer und Germanen finden wir sehr viele. In Gambach z. B. sind in diesem Jahr (2015) wieder Mauerreste einer villa rustica freigelegt worden. Rundherum waren diese Gutshöfe wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht.
In Butzbach, Arnsburg, Holzheim und Echzell befanden sich römische Kastelle, die für die Sicherheit an der Grenze zum „freien Germanien“ sorgen sollten und Limes, der die Grenze darstellte, bewachten.
Mehr möchte ich euch nicht verraten. Seht, besser lest selbst!
Eure
Petra Müller
Iulias leben am obergermanischen Limes
SALVE,
mihi nomen est Iulia. Venio e Germania Superiore. In villa rustica habito.
Ach, du verstehst mich nicht. Daran habe ich gar nicht gedacht. Excusa me – tut mir leid, dass ich auf lateinisch mit dir gesprochen habe. Ich fange noch einmal von vorne an:
HALLO,
mein Name ist Julia. Ich komme aus Ober-Germanien. Ich wohne auf einem römischen Landgut in der Nähe der Wetter in der Provinz Ober-Germanien. Ich lade dich zu einem Ausflug in meine Zeit ein. Wenn du Lust hast, stelle ich dir den Limes, einen Wachturm und ein kleines Kastell vor, die ganz in meiner Nähe sind. Außerdem möchte ich dir die römische und germanische Lebensweise etwas näher bringen. Eamus! – Gehen wir! Age nunc! – Nun los! So sah römisches Leben in Germanien vor etwa 1800 Jahren aus:
Das war unser Landgut, unsere villa rustica. Sie lag auf einem sonnigen Hang, der einen schönen Blick auf die Wetter freigab. Das ansehnlichste Gebäude auf unserem Bauernhof war das Herrenhaus, in dem wir lebten. Vom Haus aus erblickte man den ganzen Wirtschaftshof mit seinen Gebäuden. Darunter befanden sich die Unterkünfte für das Gesinde. Das waren die Knechte und Mägde, die für uns auf dem Hof und den Feldern arbeiteten. Auf unserem Landgut gab es außerdem noch ein Badehaus, Stallungen, Scheunen, Getreidespeicher und Abstellplätze für die Wagen und Karren. Das lebensnotwendige Wasser wurde aus drei Brunnen geschöpft. Abfallgruben und Latrinen durften natürlich auch nicht fehlen. Unser Bauernhof zählte zu den größten in der Umgebung. Alle anderen villae rusticae sahen fast genauso aus wie unsere.
Römische Spuren
Die Spuren
von uns Römern kannst du heute noch überall finden. Wir waren einst das mächtigste Volk Europas. Unsere Truppen hatten in zahlreichen Kriegen viele Länder erobert. Die fremden Stämme und Völker wurden unterworfen, ihr Land besetzt und ins Römische Reich einverleibt. Die Einwohner wurden zu Untertanen des römischen Kaisers gemacht, ob sie wollten oder nicht. Durch die vielen Siege erstreckte sich das Imperium Romanum von Ägypten bis nach Britannien und Germanien.
Um die eroberten Gebiete zu schützen und die Grenzen zu sichern, stationierten die römischen Kaiser dort Truppen. Diesen Legionen folgten römische Handwerker und Kaufleute. Die Soldaten wollten natürlich denselben Luxus genießen wie zu Hause. Tempel, Theater, Straßen, Aquädukte und Häuser wurden nach römischem Vorbild gebaut. In den eroberten Gebieten, den Provinzen, entwickelten sich Städte, in denen sich die römische Lebensweise entfalten konnte. Im Hinterland entstand eine große Anzahl von Gutshöfen, villae rusticae, die die Soldaten und Stadtbewohner versorgten. Die Truppen brauchten nämlich beträchtliche Mengen an Lebensmitteln und Güter für den täglichen Gebrauch. Unsere villa rustica lieferte Getreide und Schlachtvieh an die Kastelle Arnsburg und Butzbach. Auf unseren Feldern konnten wir gute Ernten erzielen.
Die gepflasterte Straße für den Transport der Waren lief schnurgerade an unserem Besitz vorbei. Die Wetterau mit ihren fruchtbaren Böden bot die besten Bedingungen für Bauern. Deshalb reihte sich hier ein Gutshof an den anderen wie die Perlen auf einer Kette. Unsere Nachbarn waren nur ein paar hundert Meter weit entfernt. Viele Wörter, die ihr heute verwendet, stammen aus der lateinischen Sprache und erinnern an die römische Herrschaft in Germanien. Sie sind in die deutsche Sprache übernommen worden.
Handel
ALLMÄHLICH wurde der LIMES
ein fester Bestandteil römischen Lebens im Grenzgebiet. Auch die dort ansässigen germanischen Stämme kamen mit dieser Grenzlinie gut zurecht. Der Limes war ja auch keine geschlossene Grenze, durch die niemand hindurchgelassen wurde. Man konnte ihn an mehreren Stellen durch Tore passieren. Solche Übergangsstellen wurden von unseren Soldaten zwar streng überwacht, was den Verkehr aber nicht aufhielt. Die Wachposten kontrollierten die Personen und Waren, die die römische Provinz verließen oder aus dem freien Germanien kamen. Das waren etliche Händler und Kaufleute. In Friedenszeiten herrschte ein geschäftiger Warenaustausch. Diese Grenzübergänge wurden selbstverständlich besonders geschützt. In nächster Nähe befand sich immer ein größeres Kastell. Einen wichtigen Grenzübergang am obergermanischen Limes sicherten zum Beispiel die Soldaten des Kastells Hunneburg und des Kleinkastells Degerfeld in Butzbach.
Einige Germanenstämme erhielten sogar die Erlaubnis, nahe am Limes zu siedeln. Am Limes und in den römischen Städten wie Castra Regina, Mogontiacum oder Bonna wurden ständig Märkte abgehalten. Viele Germanen tauschten dort ihre Waren: Vieh, Bier, Tierfelle, Räucherschinken, Pelze, Wachs und Honig. Die römischen Kaufleute boten kostbaren Silberschmuck, Stoffe, Schüsseln, Teller, Kannen, Vasen, Artikel aus Glas, Gewürze, scharfe Messer und Lanzenspitzen, Wein und Öllampen an.
Ziegenbock
Maus mit einer Haselnuss
Römische Offiziere unternahmen öfters Jagdausflüge nach Germanien und führten mit germanischen Stammesführern Verhandlungen. Kaufleute drangen tief ins freie Germanien ein, um Sklaven, Bernstein, wilde Tiere wie Elche, Auerochsen und Bären zu kaufen, die sie über ein gut ausgebautes römisches Straßennetz nach Rom schafften.
Verteidigung
Wir führten ein friedliches
und arbeitsreiches Leben im Norden des Römischen Reiches. Durch den Schutz des Limes mit seinen vielen Wachtürmen und Kastellen, in denen unsere Soldaten ihren Dienst versahen, blühten die Landwirtschaft, das Handwerk und der Handel. Die Germanenstämme, die von den römischen Legionen unterworfen worden waren, hatten sich inzwischen an unsere Lebensweise gewöhnt und schon bald römische Gewohnheiten angenommen oder waren sogar römische Bürger geworden. Ich bekam immer große Augen, wenn mein Hauslehrer von der Zeit erzählte, in der unsere Armee in Germanien einmarschiert war. Es hatte schwere Kämpfe zwischen den römischen Truppen und den germanischen Stämmen gegeben. Was interessierte die einheimischen Germanen damals das Römische Reich? Sie wollten ihre eigene Lebensweise und ihre Gebiete behalten und kämpften dafür. Ein bisschen kann ich das ja verstehen, na ja, ein kleines bisschen wenigstens. Natürlich ging unsere gut organisierte und kriegserfahrene Armee siegreich aus den Kämpfen hervor. Es schien damals – das war etwa 200 Jahre vor meiner Geburt – nur eine Frage der Zeit zu sein, bis ganz Germanien unterworfen sein würde. Doch das Unfassbare geschah:
Unsere scheinbar unbesiegbaren Truppen scheiterten auf ihrem Vormarsch. Drei Legionen, 18000 Soldaten, wurden von einem germanischen Heer unter ihrem Anführer Arminius vernichtend geschlagen. Nach dieser schweren Niederlage verzichtete der damalige römische Kaiser Augustus auf weitere Eroberungen im freien Germanien. Damit verlief eine offene Grenze zwischen dem besetzten und dem freien Gebiet, die nicht geschützt war. Sie wurde ständig von feindlichen Germanenstämmen bedroht. Der römische Kaiser, seine Beamten und Heerführer mussten sich etwas einfallen lassen.
der in dieser Schlacht gefallen war.
Er führte etwa 100 Soldaten an.
Um diese Grenze zu sichern, begannen damals römische Soldaten einen gewaltigen Grenzwall, den limes, durch das Land zu ziehen. Limes bedeutete ursprünglich „Grenzsaum“, „Schneise“ oder „Grenzpfad“. In Obergermanien wurden zunächst der Wald an der Grenze abgeholzt und Wachtürme aufgestellt. Dadurch konnten die römischen Soldaten die Gegend besser beobachten. In späteren Jahren kam ein Zaun aus angespitzten Baumstämmen, Palisade genannt, hinzu, vor dem ein tiefer Graben und ein hoher Wall aus Erde verliefen. Die Wachtürme wurden in regelmäßigen Abständen errichtet. Ihre Besatzungen konnten sich durch Feuer- und Rauchsignale verständigen. Sie benutzten auch eine rote Fahne oder sendeten Hornsignale aus, wenn Regen oder Nebel keine andere Verständigung zuließen. Und so sah der Limes zu meiner Zeit aus:
Der Limes legte den Grenzverlauf im Norden des Römischen Reiches genau fest und gab uns Bewohnern der Provinzen ein Gefühl der Sicherheit. Da die Grenze militärisch überwacht wurde, brauchten wir keine Angst vor Überfällen germanischer Räuberbanden zu haben. Diese hätten bestimmt versucht, auf römisches Gebiet einzudringen, um einsam gelegene Gutshöfe auszuplündern. Der Limes hielt sie davon ab. Die Palisadenzäune, Gräben und Wachtürme waren wirklich so gewaltig, dass unsere Feinde davor zurückschreckten, sie zu überschreiten. Wir wussten allerdings, dass ein Angriff größerer germanischer Heere auch vom Limes nicht aufgehalten werden konnte. Damit wären unsere Truppen, die auf die Kastelle und Lager entlang der Grenze verteilt waren, überfordert gewesen. Die vier bis fünf Soldaten auf den Wachtürmen hätten zwar Alarm gegeben, aber damit niemanden aufhalten können. Bei einem überraschenden Großangriff hätte es zu lange gedauert, bis die Truppen und Legionen aufmarschiert wären.
Obwohl wir das wussten, fühlten wir uns sehr sicher. Wir vertrauten einfach der Kampfkraft und Stärke unserer Soldaten. In der Nähe unseres Gutshofs lagen die großen Kastelle Echzell und Friedberg sowie die Kastelle Arnsburg und Butzbach. In den großen Kastellen waren auch berittene Soldaten stationiert, die auf ihren Patrouillen und Streifzügen durch die Wetterau feindliche Heere entdecken sollten. In der größten Not konnten Wachsoldaten Boten zur Legion nach Mainz schicken, die aus 6000 Mann bestand. Normalerweise wäre man auch durch Händler, die Germanien bereisten, bereits einige Zeit vorher gewarnt worden, wenn ein größerer Angriff bevorgestanden hätte. Jupiter sei Dank für diese sicheren Zeiten!
Kastell
QUID ERGO NUNC?
Was also jetzt? Ich weiß, ich zeige dir ein ganz kleines Kastell. Es liegt im Holzheimer Unterwald und gehörte zu den kleinsten Vertretern seiner Art. Wir lieferten manchmal Weizen und Dinkel dorthin. Im Kastell waren etwa 20 bis 30 Soldaten stationiert. Der soldatische Dienst war schon sehr anstrengend. Auch in Friedenszeiten mussten die Soldaten Waffenübungen abhalten und das lange Marschieren üben. Dazu kamen noch die Wachdienste, die sich über den Tag und die Nacht erstreckten. Zu den täglichen Aufgaben gehörte auch die Ausbesserung und Pflege des Kastells, der Kleidung, der Waffen und der restlichen Ausrüstung. Die Zubereitung des Essens nahm ebenfalls Zeit in Anspruch. Für die täglichen Arbeiten benötigten die Soldaten Werkzeuge, die ihre Schmiede anfertigten. Der Ausbau der Straßen und Wege und die Arbeit im Steinbruch bei Wind und Wetter ließen bestimmt keine Freude aufkommen, gehörten aber dazu. Zu den Pflichten der Soldaten zählten auch die Ausbesserungsarbeiten am Limes und der Wachdienst in den Wachtürmen, der mehrere Tage dauerte.
Du kannst die Mauerreste und den Brunnen des kleinen Kastells noch sehen. Auch der Wall des Limes ist leicht erkennbar. Er erreicht hier stellenweise eine Höhe von zwei Metern.
So etwa hat das kleine Kastell einmal ausgesehen. Die Holzhäuser wurden durch eine starke Mauer aus harten Basaltsteinen geschützt. Vor der Mauer befand sich ein breiter Graben. Das alles sollte Feinden das Eindringen in das Kastell erschweren.
Heute liegt das Kastell mitten im Wald. Zu meiner Zeit war das natürlich nicht so, denn die Bäume waren alle gefällt worden, um die Grenzanlage bauen zu können. Außerdem wollte man einen weiten Ausblick über das Land haben, um herannahende feindliche Truppen sichten zu können. Deshalb wurde der Wald entlang des Limes vollständig gerodet. Der Waldweg, den du begehst, war zu meiner Zeit der Pfahlgraben, der zwischen Palisadenzaun und Wall angelegt worden war. Wenn du ihm durch den Wald folgst und den Äckern entlanggehst, kommst du direkt zu einem wiederaufgebauten römischen Wachturm.
Mode
Unsere scheinbar unbesiegbaren Truppen scheiterten auf ihrem Vormarsch. Drei Legionen, 18000 Soldaten, wurden von einem germanischen Heer unter ihrem Anführer Arminius vernichtend geschlagen.
Nach dieser schweren Niederlage verzichtete der damalige römische Kaiser Augustus auf weitere Eroberungen im freien Germanien. Damit verlief eine offene Grenze zwischen dem besetzten und dem freien Gebiet, die nicht geschützt war. Sie wurde ständig von feindlichen Germanenstämmen bedroht.
Der römische Kaiser, seine Beamten und Heerführer mussten sich etwas einfallen lassen.
Auf dem Land, wo wir lebten, wurde mehr darauf geachtet, dass die Kleidung auch nützlich ist. Das einfachste Kleidungsstück war und blieb die tunica.
Sie war das Alltagskleid der einfachen Leute. Die reichen und vornehmen Römerinnen trugen die Tunica als Unterkleid.
Doch, was soll ich viel erzählen. Ich erlaube dir, den Brief an meine Kusine Livia zu lesen, in dem das Thema Mode eine Rolle spielt. Natürlich war das Schreiben in lateinischer Sprache verfasst. Da ich aber davon ausgehen kann, dass du kein Latein verstehst, kommt hier die Übersetzung in deine Sprache:
Salve, Livia!
Ich sende dir herzliche Grüße aus der römischen Provinz Germania Superior. Über deinen Brief habe ich mich sehr gefreut. Diesmal hat der Bote, der das Schreiben aus Rom überbracht hat, nicht so lange gebraucht wie das letzte Mal. Neuigkeiten aus unserer Provinz gibt es keine. Es ist alles ruhig und wir leben in guter Gemeinschaft mit unseren germanischen Nachbarn.
Wir haben Herbst und die Tage werden kälter. Das Laub der Eichen und Buchen in den Wäldern hat sich schon bunt gefärbt. Das müsstest du einmal sehen können!
Im Winter fällt Schnee, der das Haus, die Gärten, Äcker und Wiesen wie mit einem weißen Mantel bedeckt. Der Wohnraum in unserem Haus kann nicht von unten beheizt werden, deshalb haben wir es auch im Dezember, Januar und Februar nicht so schön warm wie in Wohnräumen reicher Römer und in den Thermen. In allen einfachen Gutshäusern wärmt man sich am Herdfeuer oder am Kamin.
Im März scheint schon wieder die Sonne kräftig und erwärmt Mensch, Tier und Erde. Natürlich wird es hier im Sommer nicht so heiß wie bei euch in Italien, aber meine Eltern finden das Klima in Germanien erträglicher. Die Zeichnungen mit den vornehmen Römerinnen in ihrer stola und palla, die du auf ein Pergament gemalt hast, sind wirklich sehr hübsch.
Du wärst überrascht, wenn du auf einen großen Markt in einem Kastelldorf gehen würdest. Die Toga, die nur römische Bürger tragen dürfen, siehst du kaum in unserem Teil Ober-Germaniens. Das heißt nicht, dass es hier keine Römer gibt. Aber das Anlegen der Toga dauert einfach viel zu lange. Sie ist bei der Arbeit sehr hinderlich und daher einfach nicht zu gebrauchen. Die Tunica ist deshalb auch bei den Männern das beliebteste Kleidungsstück. Die einfachen Leute nehmen sie als tägliches Kleid, die vornehmen und reichen Männer tragen sie als Unterkleid. Mein Vater verzichtet auch auf das Tragen der Toga, weil man Stunden braucht, um sie richtig in Falten zu legen. Nur, wenn er nach Mogontiacum, Colonia Agrippinensis oder eine andere Stadt fährt, nimmt er sie mit. In den Städten verkauft er auf dem Markt unsere landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Von den Einnahmen erwirbt er häufig Gefäße aus Glas, die viel schöner sind, als die gewöhnlichen roten Tonkrüge und Tonkannen, die es sonst gibt. Große Amphoren mit Öl, Wein und die zum Würzen ganz wichtige Fischsoße werden bei solchen Anlässen auch immer eingekauft.
In den römischen Städten unserer Provinz gibt es natürlich auch große Theater, Pferderennbahnen, Tempel und Thermen, die er dann aufsucht. Auf dem Forum der Stadt erfährt er immer die neuesten Nachrichten, die sonst erst Wochen später zu uns kommen würden. (Eine Zeitung kannten wir noch nicht.)
Irgendetwas bringt er auch für uns Kinder mit. Das sind manchmal kleine Tonfiguren zum Spielen oder Wachstäfelchen zum Schreiben. Da eure städtische Kleidung in Rom für uns auf dem Land nicht geeignet ist, tragen die Männer und Frauen in Obergermanien ganz andere Gewänder. Meine Mutter trägt als Unterkleid eine bodenlange Tunika, die wie ein Hemd aussieht. Darüber zieht sie ein Obergewand, das mit Gewandnadeln, den Fibeln, befestigt wird. Diese Fibeln sind richtige Schmuckstücke. Auch germanische Frauen wissen sich zu kleiden. Da einige Legionäre mit germanischen Frauen verheiratet sind, siehst du jede Menge seltsamer Trachten – eine wahre Modenschau der Kulturen.
Mein Vater hat sich einen gallischen Kapuzenmantel zugelegt, der keine Ärmel hat. Wenn es kalt wird, zieht er sich Kniehosen an. So etwas kennt ihr in Rom natürlich nicht, aber unsere Soldaten in den Limeskastellen laufen hier fast alle mit diesen bracchae herum. Einige Teile der römischen Truppen siehst du sogar in langen Hosen. Ich sehe dich schon lachen, aber das Wetter zwingt uns zu diesen außergewöhnlichen Maßnahmen.
Neulich hörte ich eine Bekannte meiner Mutter erzählen, dass sich Römerinnen schminken würden. Dazu nähmen sie Asche, Fett und Kreide. Außerdem würden sich viele vornehme Damen die Haare blond färben, damit sie so aussehen wie die hübschen Germaninnen. Da das Bleichmittel falsch angewendet schon so mancher Römerin eine Glatze beschert hätte, würden sie neuerdings lieber eine blonde Perücke tragen. Das würde mir die häufigen Fahrten römischer Händler ins freie Germanien erklären. Mein Vater erzählte mir, dass diese Handelsleute dort blondes Frauenhaar von Germaninnen kaufen würden. Schreibe mir doch bitte, ob das stimmt.
Über meine Brüder gibt es nichts zu berichten, die sind immer zu Dummheiten aufgelegt, ärgern mich ständig und sind richtige faule Esel, wenn es darum geht, uns bei der Arbeit zu helfen. Du kannst dich freuen, dass deine Brüder jetzt in die Grammatikschule müssen. Dann sind sie wenigstens aus dem Haus.
Grüß deine Eltern und Brüder von mir. Vale, meine liebe Livia!
geschrieben am VII. Octobris anno 953 nach Gründung der Stadt Rom.
Kleine Hilfe: 753 schlüpft Rom aus dem Ei.
Schule
NICHT NUR IN ROM,
sondern auch in der römischen Provinz Germanien konnten viele Menschen lesen, schreiben und einfache Rechenaufgaben lösen. Das lernten bereits die Kinder. Allerdings gab es keine Schulen, wie du sie heute kennst. In den römischen Städten oder sehr großen Kastelldörfern diente irgendein Zimmer als Schulraum. Das konnte ein Ladenraum oder ein Platz in einem offenen Säulengang sein. Der Unterricht für Mädchen und Jungen ab 7 Jahren wurde von einem Lehrer, ludi magister genannt, erteilt. Er wurde von den Eltern der Kinder bezahlt. Der Beruf des Lehrers war nicht sehr angesehen und deshalb war der Lohn auch gering. Einen Schulraum gab es in der Nähe unseres Gutshofs natürlich nicht. Da wir lesen, schreiben und rechnen lernen sollten, musste ein Lehrer ins Haus kommen. Meine Eltern bezahlten ihn. Unser Gutshof brachte gute Gewinne, so dass wir uns den Unterricht leisten konnten. Unser Hauslehrer war also damit beschäftigt, meinen Brüdern und mir das Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. Ein Studium war dafür nicht notwendig gewesen. Es genügte, dass er alle Fächer beherrschte. Der Unterricht fand im Wohnzimmer statt. Meine Brüder nahmen auch daran teil. Da sie nicht immer gehorchten, wurden sie häufig von unserem Lehrer verprügelt. Darüber regte sich niemand auf. Für den Unterricht hatte unser Vater jedem ein Wachstäfelchen und einen spitzen Griffel, einen stilus, aus Metall gekauft. In die weiche Wachsschicht meines Holztäfelchens ritzte ich mit der spitzen Seite des Griffels die Rechenaufgaben und die Buchstaben des ABC.
Mit dem anderen Ende des Griffels, der wie ein flacher Spaten aussah, konnte ich die Wachsschicht wieder glatt streichen. Das war sehr praktisch. So konnte ich die eingeritzten Buchstaben und Zahlen wieder auswischen, um etwas anderes zu schreiben oder um die Fehler schnell zu verbessern. Auch Papyrus, den man gut rollen konnte, war im Römischen Reich weit verbreitet. Für den Schulunterricht genügten jedoch zunächst die Wachstäfelchen.
Wenn du mir zugehört hast, kennst du alle meine Schulsachen.
Wenn du dir die richtige Lösung ansehen möchtest, dann benutze bitte den Pfeil rechts neben dem Bild.
Manchmal durften wir sogar mit Schreibfedern aus Schilfrohr schreiben. Mit schwarzer oder roter Tinte beschrifteten wir dünne Holzblättchen oder schrieben auf Pergament. Das kam nicht oft vor, denn Pergament wurde aus Tierhäuten gewonnen und war sehr teuer. Die Schreibfedern mussten öfters angespitzt werden, da sie schnell stumpf wurden. Das war der einzige Nachteil. Am besten war es, sich eine ganze Kiste voll Schreibfedern zuzulegen oder sich eine Feder aus Metall schenken zu lassen. Über meine Brüder könnte ich viel berichten. Einmal wagten sie es, auf ihre Tafel zu schreiben: Magister stultus est. – Magister asinus est. Unser Lehrer ist dumm. – Unser Lehrer ist ein Esel. Beim Wegstreichen der Zeilen wurden sie von unserem Magister erwischt. Der ergriff die Täfelchen, las die Sätze und lief vor lauter Wut rot an. Diesmal gab es nicht nur Schläge mit dem Riemen, sondern auch eine lange Schreibaufgabe. Sie mussten mehrfach wiederholen: QUI BENE NON DIDICIT GARRULUS ESSE SOLET. Das heißt übersetzt: Wer nicht gut gelernt hat, bleibt gewöhnlich ein Schwätzer.
Die Schulzeit endete für mich als Mädchen spätestens mit zwölf Jahren. Ich lernte aber nicht nur lesen, schreiben und rechnen, sondern auch den Haus und Hof sauber zu halten, Kranke zu pflegen, Ost zu ernten und haltbar zu machen, Getreide zu mahlen, zu backen und natürlich zu weben. Mit vierzehn oder fünfzehn Jahren wurden die meisten römischen Mädchen verheiratet und verließen ihr Elternhaus. Daran dachte ich aber damals noch nicht.
Soldaten
UNSERE RÖMISCHE ARMEE
war die erfolgreichste Europas, wenn nicht der ganzen Welt. Von unserer Armee hing die Macht des Römischen Reiches ab. Unsere Soldaten waren daher ständig in Übung und trugen immer Waffen. Eine strenge Disziplin wurde von ihnen verlangt. Bei Verstößen gegen die Ordnung wurden brutale Strafen verhängt.
„Wenn sich ein Soldat eines Vergehens schuldig gemacht hatte, trat sofort das Gericht der Tribunen (Offiziere) zusammen, und wenn der Soldat verurteilt wurde, so war die Strafe das Fustuarium, das folgendermaßen vollzogen wurde: Der Tribun nahm einen Holzstock und berührte damit den Verurteilten. Darauf schlugen alle Soldaten im Lager mit Stöcken und Steinen auf ihn ein. Die meisten der Verurteilten fanden schon im Lager den Tod, wenn es aber einem gelang hinauszukommen, bedeutete das auch keine Rettung. Er konnte weder in seine Heimatstadt zurückkehren noch hätte es einer seiner Verwandten gewagt, ihn in sein Haus aufzunehmen.“
Das Heer war in Legionen eingeteilt. Den Soldaten nannte man daher Legionär. Das Leben eines Legionärs war sehr beschwerlich. Ein Tagesmarsch von 30 km gehörte oft zum Alltag. Manchmal musste er sogar bis zu 50 km marschieren. Das Gepäck wurde nicht auf einem Karren transportiert, sondern musste mitgeschleppt werden. Die Soldatenschuhe waren auf der Unterseite mit Nägeln beschlagen, um die Ledersohlen zu schonen und rutschfest zu machen. Mir taten die Legionäre manchmal leid, wenn sie nach einem langen Marsch mit 40 kg oder 50 kg Gepäck an unserem Gutshof vorbeikamen. Anschließend wurde auch noch ein Lagerplatz aufgebaut. Aber die Ausrüstung und Disziplin eines Legionärs beeindruckten Freund und Feind gleichermaßen.
Sita est! – So ist es!
Beim Eintritt in die römische Armee erhielten die Soldaten das römische Bürgerrecht. Nach 20 bis 25 Jahren Dienstzeit konnten sie eine Abfindung in Geld oder ein Stück Ackerland für einen eigenen Hof bekommen. Das war schon sehr verlockend, wenn es auch den Abschied von der Heimat bedeutete, denn die meisten Soldaten waren in den besetzten Gebieten stationiert. Nach Beendigung ihres Dienstes kehrten viele Soldaten nicht nach Hause zurück. Sie hatten einheimische Frauen kennen gelernt, mit denen sie zusammen blieben. Die Soldaten lebten in Kastellen, ihre Familien konnten sie in einem Kastelldorf davor, dem vicus, unterbringen. Am Ende ihrer Militärzeit ließen sich die meisten Soldaten in diesem Kastelldorf nieder. Die Kinder aus der Verbindung zwischen einem römischen Soldaten und einer Germanin hatten keine Probleme mit der römischen Kultur und Lebensweise. Sie sprachen natürlich lateinisch und fühlten sich als Römer.
Spiele
ALEA IACTA EST
der Würfel ist gefallen. Wie alle Kinder dieser Welt spielten wir leidenschaftlich gerne. Mein Vater hatte mir zum Geburtstag ein paar Stelzen geschenkt, mit denen lief ich auf unserem Hof herum. Ich besaß auch mehrere Puppen aus Holz und gebranntem Ton, einen Reifen, einen Ball und ein Wägelchen. Davor spannte ich meine Ziege und los ging’s.
Manchmal durften wir sogar mit Schreibfedern aus Schilfrohr schreiben. Mit schwarzer oder roter Tinte beschrifteten wir dünne Holzblättchen oder schrieben auf Pergament. Das kam nicht oft vor, denn Pergament wurde aus Tierhäuten gewonnen und war sehr teuer. Die Schreibfedern mussten öfters angespitzt werden, da sie schnell stumpf wurden. Das war der einzige Nachteil. Am besten war es, sich eine ganze Kiste voll Schreibfedern zuzulegen oder sich eine Feder aus Metall schenken zu lassen. Über meine Brüder könnte ich viel berichten. Einmal wagten sie es, auf ihre Tafel zu schreiben: Magister stultus est. – Magister asinus est. Unser Lehrer ist dumm. – Unser Lehrer ist ein Esel. Beim Wegstreichen der Zeilen wurden sie von unserem Magister erwischt. Der ergriff die Täfelchen, las die Sätze und lief vor lauter Wut rot an. Diesmal gab es nicht nur Schläge mit dem Riemen, sondern auch eine lange Schreibaufgabe. Sie mussten mehrfach wiederholen: QUI BENE NON DIDICIT GARRULUS ESSE SOLET. Das heißt übersetzt: Wer nicht gut gelernt hat, bleibt gewöhnlich ein Schwätzer.
Meine Brüder und ich spielten gerne Blindekuh, Verstecken und Fangen. Großen Spaß hatten wir auch beim Steckenpferd-Rennen. Dabei hatte ich meistens keine Chance zu gewinnen, da meine Brüder immer schneller waren. Aber beim Orca-Spiel sah das ganz anders aus. Dazu musste man drei Spieler haben. Jeder Mitspieler erhielt fünf Nüsse. Haselnüsse waren am besten geeignet. Jeder versuchte aus einer Entfernung von etwa zwei Metern, seine Nüsse in ein Tongefäß, die orca, zu werfen. Sieger war derjenige, der die meisten Nüsse in der orca hatte. Da wir für jede genau gezielte Nuss einen Punkt aufschrieben, konnten wir richtige Turniere veranstalten.
Das Spiel mit Nüssen war überhaupt sehr aufregend. Beim Nüsse-Kullern ließ jeder seine Nuss über eine schiefe Ebene hinabrollen. Wenn die Nuss eine andere getroffen hatte, durfte der Werfer beide aufnehmen. Gewinner war, wer zum Schluss alle Nüsse eingeheimst hatte.
Das Delta-Spiel war unsere Lieblingsbeschäftigung. Mit einem Stock malten wir einfach ein großes Dreieck auf den Boden und teilten es in zehn Abschnitte ein. Jedes Feld bekam eine Zahl. In das Feld an der Spitze schrieben wir die Zahl zehn, das erste direkt vor uns erhielt die Zahl eins. Von einer Linie aus warfen wir Nüsse auf das Spielfeld. Jeder Spieler hatte fünf Versuche, also fünf Nüsse. Natürlich war das oberste Feld mit der Zahl zehn das begehrteste. Derjenige, der die meisten Punkte gesammelt hatte, war Sieger.
Speisen & Getränke
CIBI ET POTIONES
Speisen und Getränke wurden selbstverständlich von uns selbst auf unserem Gutshof hergestellt. Unsere Äcker befanden sich in der Nähe unserer villa rustica und brachten reiche Ernte ein, weil das Klima in der Wetterau sehr mild und die Böden sehr fruchtbar waren. Sie eigneten sich hervorragend für den Anbau von Getreide, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchten. Auf unseren Feldern wuchsen wichtige Getreidearten wie Dinkel, Weizen und Gerste. Der Dinkel wurde am häufigsten angebaut, da er sehr viel Eiweiß enthielt und sich gut lagern ließ.
Aber auch Rispen-Hirse kam zur Aussaat. Die Gerste war sehr beliebt, da sie sich nicht nur vorzüglich für die Zubereitung von Breispeisen und Eintöpfen eignete, die meistens auf dem Speiseplan standen, sondern auch zum Bierbrauen benötigt wurde.
In den Wäldern, Hecken und Gebüschen sammelten wir Nüsse, Erdbeeren, Hagebutten, Brombeeren, Himbeeren, Schlehen und Schwarzen Holunder. Die Haselnuss, die sehr kalorienarm und lange haltbar war, wurde gerne zwischendurch gegessen. Sie kam aber auch im Eintopf oder als Nachspeise auf den Tisch.
An manchen Tagen fanden wir so viele Haselnüsse, dass unsere Taschen fast aus allen Nähten platzten. Uns Kindern machte das Sammeln großen Spaß. Wir schwärmten in die umliegenden Wälder aus und sammelten dort die Früchte ein, die nichts kosteten und außerordentlich würzig schmeckten. In den Gärten unseres Gutshofs wuchsen Walnuss-, Pflaumen-, Pfirsich-, Apfel- und Kirschbäume, die meine Großeltern aus Italien eingeführt und hier angepflanzt hatten. Das Obst wurde gedörrt und auf diese Weise lagerfähig gemacht. Auch Melonen und Kürbisse konnten im Garten geerntet werden, die es vorher in Germanien nicht gegeben hatte.
Oliven wurden bei Händlern gekauft. Wachteln in Spargelsoße war ein Gericht für reiche Römer. Obst wurde als Nachtisch gereicht. Weintrauben gab es allerdings kaum in Ober-Germanien.
In unseren Hausgärten wurden auch Gemüse- und Salatpflanzen sowie Gewürze gezogen. Bohnen, Erbsen, Linsen, Kohl, Kürbis und Möhren kamen in den Kochtopf und wurden zu schmackhaften Eintopfgerichten verarbeitet. Die Hülsenfrüchte gab es das ganze Jahr hindurch, weil sie sehr nahrhaft und getrocknet lange haltbar waren. Gewürzt wurde mit Petersilie, Fenchel, Koriander, Dill und Thymian aus eigenem Anbau. Wilder Majoran und Minze wuchsen in der Nähe unseres Anwesens. Wir sammelten die Kräuter und auch die Blätter des Feldsalats außerhalb des Hofes, wo man sie überall finden konnte.
Knoblauch wurde sehr geschätzt. Er gehörte sogar zur Marschverpflegung der Legionäre.
Die römische Küche war sehr abwechslungsreich. Natürlich nur für Leute, die es sich leisten konnten. Der Versuch meines Großvaters, Wein anzubauen, scheiterte kläglich. Der Wein aus den Gebieten um Rhein und Mosel und vor allem aus Italien schmeckte viel, viel besser. Da wir Oliven und Olivenöl sowieso von Händlern auf dem Markt einkaufen mussten, die diese aus Spanien oder Italien mitbrachten, wurde der benötigte Wein gleich mitbesorgt. Diese Einkäufe waren entsprechend teuer. Ganz besonders viel Geld kostete Pfeffer, der aus Indien nach Ober-Germanien kam.
In unserem Keller lagerte ständig eine große Anzahl verschiedener Weinsorten: Obstweine, hergestellt aus Äpfeln, Birnen oder Feigen, und Weine, die mit Kräutern, Veilchen, Minze, Fenchel oder Dill gewürzt waren. Nicht vergessen darf ich ein sehr beliebtes Getränk, den mulsum. Das war eine süße Mischung aus Traubensaft oder Wein, der man ziemlich viel Honig zugesetzt hatte.
Der Ackerbau war natürlich mit großen Mühen und viel Arbeit verbunden. Erntemaschinen, wie ihr sie heute kennt, gab es damals noch nicht. Das Korn wurde von Landarbeitern mit Sicheln geschnitten. Dies bedeutete, dass sich die Feldarbeiter stundenlang bücken mussten, um mit der Sichel das Getreide ernten zu können. Damit waren aber die Getreidekörner noch nicht gewonnen. Das Getreide wurden aufgeladen und auf Karren zum Dreschplatz, der sich im Freien befand, gebracht. Dort wurde es gedroschen, damit die Getreidekörner aus den Ähren fielen. Anschließend mussten die Getreidekörner noch von der Spreu, also den Samenschalen, Spelzen, kleinen Stängeln und Grannen, getrennt werden. In der Fachsprache hieß dieser Vorgang worfeln. Der Wind kam dabei zur Hilfe, der die leichten Teile des Getreides wegwehte. Dann erst konnten Stroh und Körner in die Speicher unseres Hofes gebracht werden. Später wurden die Körner in einer Getreidemühle zu Mehl gemahlen.
Fleisch- und Fischspeisen gehörten zu jedem römischen Abendessen, der cena, dazu. Da wir Rinder und Schweine als Haustiere hielten, waren wir das ganze Jahr über mit Fleisch versorgt. Die Rinder weideten auf den fetten Wiesen der Wetter, wodurch sie sehr gut gediehen. Sie lieferten uns aber nicht nur das Fleisch und die Milch, sondern wurden auch vor Pflug, Karren und Wagen gespannt. Unsere Verwandten in Rom hatten für den Verzehr von Rindfleisch kein Verständnis. Dass man seinen Pflugochsen aufessen konnte, war ihnen nicht beizubringen. Deshalb wurde in Italien vor allem Schweinefleisch gegessen. Italien war weit entfernt und in der römischen Provinz Germanien hatte man seine eigenen Vorstellungen über Geschmack entwickelt. Wir aßen Rindfleisch genau wie unsere germanischen Nachbarn.
Wenn ich wir sage, meine ich vor allem die Soldaten in den Kastellen und die Bewohner der Kastelldörfer, die nicht über viel Geld verfügten. Rindfleisch war nämlich viel billiger als Schweinefleisch. Auf den Höfen, die Schweine hielten, wurde häufiger Schweinefleisch gegessen. Die Schweine konnten in den nahen Wald getrieben werden, wo sie genügend Eicheln und Bucheckern zum Fressen fanden.
Sie wurden schön fett, wenn sie mit Getreide, Knollen und Früchten gefüttert wurden. Das kostete Geld. Unsere Schafe und Ziegen waren genügsame Haustiere.
Sie brauchten fast keine Pflege, waren gegen Hitze und Kälte abgehärtet und gaben sich mit ein paar Gräsern und mit dornigen Pflanzen zufrieden. Von diesen Tieren bekamen wir nicht nur das Fleisch, sondern wir nutzten auch die Wolle und das Fell. Die Milch von Schaf und Ziege wurde zu Käse verarbeitet, den wir als Reibekäse zu frischem Landbrot oder Fladen aßen.
Die Butter wurde als Speise nicht gerne genommen. Das überließen wir dann doch lieber den Germanen. Butter war ein bekanntes Heilmittel, vor allem wenn sie langsam ranzig wurde. Hühner und Gänse, die wir auf unserem Landgut hielten, kamen seltener auf den Speiseplan, obwohl sie schön dick und fett waren – viel dicker und fetter als die der Germanen, die wohl nicht so viel von Zucht und Mast verstanden. Da bei uns niemand gerne auf die Jagd ging, wurde auch auf das Fleisch vom Wild, von Wolf, Fuchs oder Elch weitgehend verzichtet. Das war in Rom wieder ganz anders. Da waren Wildgerichte so beliebt, dass man gar nicht genug Wild erjagen konnte und deshalb extra Gehege anlegte.
Viele Wildtiere wie der Braunbär lebten in den dichten Wäldern. In unserer Gegend kamen Wildtieren nicht so häufig vor.
Unsere Familie bevorzugte eher einen gekochten oder gebratenen Fisch als Hauptspeise der cena, der aus der nahen Wetter stammte. Das Wasser der Wetter war sauber und klar, sodass es viele Fische gab. Fisch wurde frisch geräuchert, gedörrt oder eingesalzen gegessen. Der Barsch oder Hecht, den wir selbst geangelt hatten, schmeckte natürlich am allerbesten. Wie alle Kinder dieser Welt naschten wir gerne etwas Süßes. Zuckerrohr gab es damals allerdings noch nicht, aber Honig und süßen Saft. Und der Bienenhonig schmeckte soooooooooo gut! Natürlich hatten wir eine eigene Bienenzucht. Sie brachte den begehrten Honig und Bienenwachs. Ich könnte dir noch so viel erzählen über Geräte und Werkzeuge wie Hacken, Spaten, Pflugscharen, Hammer, Beile und Messer, aber die sehen auch nicht viel anders aus als die, die ihr heute benutzt.
Dir ist auch nicht aufgefallen, dass wichtige Haustiere fehlen: unsere Hunde und Katzen. Die Katze kam erst mit uns Römern nach Germanien. Sie war als Vertilger von Mäusen und Ratten und somit als Schützer der Getreidevorräte ganz, ganz wichtig. Die Hunde hüteten die Herden und bewachten das Haus. Unsere Katzen und Hunde waren selbstverständlich auch gute Spielkameraden für uns Kinder.
Was ich dir erzählt habe, hört sich nach wunderschönem Landleben mit viel Freiheit an, aber das stimmt nicht ganz. Die Früchte der Natur fielen niemandem einfach in den Schoß. Alle Bewohner der villa rustica mussten hart dafür arbeiten. Dabei konnten wir uns eigentlich nicht beklagen.
Sklaven
In Gebieten mit weniger fruchtbaren Äckern war der Tisch nicht immer so reich gedeckt, denn die Äcker gaben nicht viel her und dadurch konnte nur wenig Vieh gehalten werden. Wir hatten es auf unserem großen Landgut schon gut, aber am besten lebten die reichen Landbesitzer in Italien, die ihre Felder verpachtet hatten. Sie brauchten nicht zu arbeiten und führten ein luxuriöses Leben in der Stadt. Der Pächter dieser Landgüter war für den Betrieb verantwortlich. Er beaufsichtigte auch die Landarbeiter und manchmal auch die Sklaven. Der römische Staat konnte ohne seine Sklaven nicht auskommen. Sie wurden sehr oft in der Landwirtschaft eingesetzt. Da sie keine Rechte besaßen und keinen Lohn bekamen, waren sie billige Arbeitskräfte. Als Eigentum ihres Herrn wurden sie als Ware betrachtet. Sklaven konnten gekauft und verkauft werden. Ich weiß, dass das in deinen Augen scheußlich ist. Wenn ich darüber nachdenke, muss ich dir sogar Recht geben, aber für uns war Sklaverei damals ganz normal. Römische Händler kauften später sogar noch Sklaven im freien Germanien ein.
Die Germanen nahmen das auch nicht so genau. Versteh´ mich nicht falsch, damit möchte ich die Sklaverei nicht entschuldigen, aber sie war ein Pfeiler des römischen Staates. Das möchte ich dir nicht verschweigen, obwohl es bei uns in Ober-Germanien fast keine Sklaven gab.Die Sklaverei gehörte damals zum Alltag im Mittelmeerraum. Auch die Sklaven, die befreit worden waren, versuchten selbst, wieder Sklaven zu halten. Ein Sklave hatte keine Rechte und war von der Versorgung durch seinen Herrn abhängig. Die Sklaven wurden auf dem Sklavenmarkt gekauft und verkauft. Wenn sie besondere Fähigkeiten hatten, konnten hohe Preise für sie erzielt werden. Sklaven wurden in der Landwirtschaft oder als persönliche Diener oder Dienerinnen eingesetzt. Sie konnten Hausdiener oder Lehrer für die Kinder des Herrn sein. Sklaven verrichteten Putzdienste in den Häusern reicher Römer. Sie arbeiteten in Handwerksbetrieben und größeren Werkstätten. Sklaven wurden als Gladiatoren ausgebildet, arbeiteten in Steinbrüchen, Bergwerken oder Mühlen. Diese Arbeiten wurden auch als Strafen verhängt, wenn ein Sklave ungehorsam war. Sklaven arbeiteten in den Bibliotheken, in der Verwaltung, als Musiker, Tänzer oder Ärzte.
Das Leben eines Sklaven war ganz davon abhängig, welche Arbeiten er verrichten musste. Manche Sklaven hatten ein freundschaftliches Verhältnis zu ihrem Herrn und gehörten fast zur Familie. Andere wiederum fanden ein grausames Ende in den Amphitheatern, Bergwerken und Steinbrüchen.